Das Istanbul
der Reisenden, Çelik Gülersoy
Istanbul: 2010 European Capital of Culture (ppt 16.5 MByte)
Istanbul lag immer ein wenig am Rande des Mittelmeerverkehrs, das
heißt, im Vergleich zu Plätzen „auf dem Weg“ wie Marseille, Neapel
(Rom) und sogar Athen wirkte sich die lange Seereise zum Nachteil
aus. Aber das Glück, Hauptstadt dreier Reiche zu sein, des Römischen,
des Byzantinischen und des Osmanischen, räumte diesem an zwei
Meeresufern gegründeten Siedlungsplatz wiederum allezeit eine
Sonderstellung ein. Außerdem führte über Istanbul jahrhundertelang
die Hauptverkehrsader von Europa zu den antiken Stätten Kleinasiens
und weiter über Iran nach Fernost, sowie besonders für die
christlichen Pilger nach Jerusalem.
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war Reisen kein Massenvergnügen,
sondern die Ausnahme für eine kleine Minderheit außergewöhnlicher
Persönlichkeiten. Deswegen machten diejenigen Istanbulbesucher, die
man als Touristen im heutigen Sinne bezeichnen könnte, also alle,
die nicht in diplomatischen oder militärischen Diensten bzw. als
Kaufmann dort weilten, lediglich eine Handvoll Menschen aus.
Das mochten Privatleute sein, die sich an die diplomatischen
Abordnungen angeschlossen hatten, oder Wissenschaftler,
Antiquitätensammler, Mönche und Pilger, die nach Jerusalem
wollten.Diese wenigen ersten Touristen wirkten durch ihre
Aufzählungen und Erzählungen auf ihre Gesellschaft kaum ein. Waren
diese Werke vor der Erfindung des Buchdrucks sowieso nur in wenigen
handschriftlichen Exemplaren verbreitet, so wurden sie auch nach
Gutenberg nur in geringer Auflage gedruckt und von einem begrenzten
Leserkreis (manchmal auf Subskriptionsbasis) gekauft.
Die bekanntesten Reisenden, die unter diesen Umständen bis ins 18.
Jahrhundert nach Istanbul kamen und darüber geschrieben haben, sind
folgende: Clavijo, Ibn Batuta, Benjamin von Toledo, der Marokkaner
Tamgrouti, Petrus Gyllius, Grelot, Quiclet, der Botschafter Busbeck,
A. Galland, Pierre Belon du Mans, Johannes Wild, Salomon Schweigger,
Dernschwamm.
Endlich brach in der langen Geschichte der Menschheit mit dem 18.
Jahrhundert eine ganz neue Periode an, die auf allen Gebieten die
Horizonte aufriss. Die Völker begannen, die primitive Brutalität und
die in sich geschlossenen, starren gesellschaftlichen Regelsysteme
zu überwinden. Die Verkehrsmittel entwickelten sich.
Merkantilistische Vorstellungen ließen den Handel aufblühen und
trugen die Klasse der Kaufleute über die Landesgrenzen. Mehr
dichterische Werke und neue Formen entstanden. Die Malerei machte
einen großen Sprung und die Maler begannen, ins Ausland zu reisen.
Als die großen Segelschiffe die Seefahrt etwas erleichterten, war
İstanbul unter den berühmten Niederlassungen mit die erste, die von
dieser allgemeinen Öffnung und Erweiterung profitierte.
Ebenso, wie im 18. Jahrhundert die Zahl der Reisenden in diese
blendend reiche Stadt des Orients wuchs, die Hauptstadt der Osmanen,
wo das römische Erbe und der Zauber des Ostens sich während
dreihundert Jahren zu einer farbigen Synthese verbunden hatten, so
nahm auch die Zahl der Werke über Istanbul zu. Außerdem wurde ihre
Ausstattung reicher und anstelle der kleine, pergamentgebundenen
Büchlein traten mehrbändige Wälzer, in Schweinsleder gebunden und
mit Goldschnitt verziert. Ab 1700 fingen immer mehr Leute an, diese
Reisebücher zu lesen, etwa die Aufzeichnungen des Holländers
Cornelius des Bruyn, der Engländer Lord Sandwich, Lady Montagu und
Lady Craven, J. Dallaway,
des französischen Geistlichen de la Motraye und seiner Landsleute
Tournefort, Pouqueville, Tavernier, Pertusier, J. de la Porte, Baron
de Tott, Conte Ferrière Sauveboeuf und Conte Choiseul, Jéhannot, des
Schweden d’Ohsson und der Italiener Dominique Seatini und Pietro
della Valle.
Wie jedermann weiß, war das 19. Jahrhundert mit seinen Entdeckungen
und Erfindungen ein Zeitalter des Aufschwungs. Durch die
Industrialisierung entstanden große Städte und die Klasse der
Bourgeoisie, wodurch die Zahl der Wohlhabenden wuchs. Diese
entwickelten eine neue Kultur mit Gewohnheiten wie reisen oder
Bücher lesen.
Als aufgrund der Anwendung der Dampfmaschine so bequeme und große
Verkehrsmittel wie Eisenbahn und Dampfschiff auftauchten, machten
diese sich natürlich auch auf den Weg nach Istanbul.
So traten im 19. Jahrhundert erstmals Touristen des Typs, wie wir
ihn heute kennen, in Erscheinung, und deren wurden immer mehr. Wenn
wir heute wissen wollen, aus welchen Motiven die Touristen des 19.
Jahrhunderts reisten, was sie erlebten und beobachteten, dann stehen
uns als Quellen nur die von ihnen verfassten Bücher zur Verfügung.
Die Beobachtungen der Reisenden in der Zeit davor haben einige
Schönheitsfehler: ihre Zahl ist gering. Außerdem ist der Umfang
dieser Schriften recht begrenzt; noch dazu vorurteilsbeladen. Bei
ihnen allen stehen Glaubensfragen im Vordergrund, und die
Voreingenommenheit dieser alten Quellen erinnert an den durch
Scheuklappen verengten Blickwinkel der Pferde im Drehwerk (Göpel).
Deswegen fand ich es angemessener, in diesem meinem Artikel die
Gedankenfrüchte eines Zeitabschnitts zu untersuchen, der schon etwas
Reife, friedliche Gefühle und Toleranz für andere
Glaubensvorstellungen und Lebensformen als die eigenen erreicht
hatte und zu fragen: Was haben die Reisenden, die Besucher Istanbuls
in den letzten 150 – 200 Jahren beobachtet und aufgeschrieben?
TransAnatolie Tour
|